Michael Schmitt
Der Krähberg als Begriff für die Motorsportgeschichte, nicht nur des Odenwaldes
Wer diese Webseite aufruft, hat soviel Interesse an der Automobil-
geschichte, dass ihm der Begriff “Krähbergrennen” bisweilen schon zu
Ohren kam. Wie die motorsportlichen Veranstaltungen am Krähberg die
Automobilgeschichte bereits seit ihren Anfängen begleiteten, sei hier kurz
dargestellt.
Bereits im Jahr 1903 wurde in Stuttgart die DMV Deutsche Motorfahrer
Vereinigung gegründet, welche 1911 in ADAC Allgemeiner
Deutscher Automobil-Club umbenannt wurde. Der Dachverband
des DMV war in zahlreiche Gaue aufgeteilt. Dazu zählte auch der
Gau III Hessen u. Hessen-Nassau. Hier wird bereits im Jahre 1905
die Ortsgruppe Darmstadt erwähnt. 1907 taucht der
Regierungsassessor Emil Zimmer als deren 1. Vorsitzender in den Vorstandsberichten auf.
In der Ausgabe 15 des Jahres 1909 berichtet der Motorfahrer, dass Emil
Zimmer zum 2. Vorsitzenden des Gaus III gewählt wurde. Im gleichen
Bericht wird erwähnt, dass Zimmer die Gründung eines Hessischen
Automobilclubs Darmstadt noch für das laufende Jahr als Ortsgruppe des
DMV ankündigt. Zimmer wurde Präsident des am 20. November 1909
gegründeten HAC Darmstadt, dem späteren Veranstalter der
Krähbergrennen.
Interessant ist, dass der HAC sich offenbar sehr bald vom DMV / ADAC
löste. Ein genaues Datum war hier nicht zu ermitteln. Graf Alexander zu
Erbach-Erbach erwähnt in seiner Ansprache zum 20-jährigen Vereins-
jubiläum lediglich, dass der HAC bis in dieses Jahr 1929 in einem
Kartellverhältnis zum A.v.D. stand. Erst ab diesem Jahr wurde der HAC
dann also körperschaftliches Mitglied des A.v.D.
Von 1911 bis 1914 liegen mehrere Berichte über Fahrten zum Krähberg vor,
welche sowohl vom Gau III des ADAC als auch vom HAC Darmstadt
veranstaltet wurden. Das waren nun natürlich keine Autorennen im heutigen
Sinn, obwohl es auch solche damals schon gab. Meist handelte es sich um
Stern- oder Gesellschaftsfahrten die mit einem Punktesystem bewertet
wurden. Dass diese durchaus auch sportlich anspruchsvoll waren ergab sich
sowohl aus den technischen Gegebenheiten der frühen Fahrzeuge, als auch
aus den befahrenen Straßen.
Die Krähbergrennen des HAC Darmstadt
Nach dem Ersten Weltkrieg, als die deutsche Wirtschaft am Boden lag und eine Erholung noch nicht wirklich in Sicht war, fingen an vielen Orten kleine Betriebe mit der Produktion von Kraftwagen
an. Oft mit geringen Mitteln wurden in kleinen Stückzahlen Fahrzeuge gefertigt. Aber auch die großen Automobilhersteller stellten wieder von der Rüstungsproduktion auf den privaten Markt um.
Schon am 9. Oktober 1921 veranstaltete der Hessische Automobilclub Darmstadt unter der Leitung des bereits genannten “Benzinassessors” Emil Zimmer das erste Krähbergrennen dieser Nachkriegszeit.
Zunächst noch als Vereinsveranstaltung ausgeschrieben, wurden die Krähbergrennen einer der wichtigen Termine im sich langsam entwickelnden Kalender des Motorsports in Deutschland.
Die Strecke begann in Hetzbach im Mümlingtal, heute ein Ortsteil von
Beerfelden im Odenwaldkreis. Der Start befand sich im Ortskern, in einer
Höhe von 304 m und führte bis annähernd zum Gipfel des 555 m hohen
Krähberges, der zweithöchsten Erhebung des Odenwaldes. Es handelt
sich um die Verbindungsstraße zwischen Hetzbach und Schöllenbach.
Bei diesen beiden Orten liegen auch die jeweiligen Einfahrten des
bekannten Krähbergtunnels. Er ist heute Deutschlands längster
eingleisiger Eisenbahntunnel mit 3.100 m Länge. Der Zielbereich der
Rennen lag etwa in 520 m Meereshöhe. Die Steigungen und vielen Kurven
boten sich ideal für die Durchführung eines Bergrennens an.
Die Rennen beinhalteten in ihren Fahrerlisten die “Creme de la Creme”
des deutschen Motorsports. Angefangen von Rudolf Caracciola, der zu
dieser Zeit gerade am Anfang seiner langjährigen Karriere stand, über
Carl Jörns, der für Opel bereits viele Siege eingefahren hatte, sind noch Huldreich Heusser, Karl Kappler, Georg Kimpel, Adolf Rosenberger,
Wilhelm Merck, Fritz und Hans von Opel, Willy Cleer, Ernst Kordewan,
Georg Gischel, Reinhold Dürkopp, Hans Birk, Otto und Wilhelm Glöckler,
Fritz Kleemann, Ernst von Halle, Freiherr Reinhard von Koenig-Fachsenfeld,
Herrmann Prinz zu Leiningen, Erbgraf Alexander zu Erbach-Erbach, Willi
Seibel, die “Wiests” (Josef, Geo und Anne) aus Darmstadt, Graf Otto
Heinrich Hagenburg, Harry Stumpf-Lekisch, August Momberger zu
erwähnen.
Schon 1922 waren etwa 100 Fahrer am Start, wobei hier auch noch
Motorradklassen ausgefahren wurden. Erst ab 1926 wurden ausschließlich
Automobile zugelassen. Fast alle namhaften Automobilhersteller ließen
ihre Wagen oder Zweiräder an den Start gehen.
Selbstverständlich waren die Südhessischen Betriebe dabei überproportional
beteiligt und FAFAG, Falcon, HAG und natürlich Opel konnten z.T.
erstaunliche Erfolge verbuchen. Auch die Zürtz-Rekord aus Darmstadt kam
1923 bei den Motorradrennen zum Einsatz. überlieferte Zeitungsberichte mit
sehr anschaulichen Schilderungen geben uns Einblicke in Abläufe der Rennen:
Auszug aus dem Bericht des Darmstädter Tagblattes 1922
Darmstadt lag noch im Dunst des morgendlichen Dämmernebels, als der
schnelle 13/30er Sechssitzer, den uns die Rennleitung zur Verfügung
gestellt. Uns hinaustrug aus dem Erwachen der Stadt, die noch den Schlaf
aus müden Augen rieb, hinein in die wundervoll kolorierte Herbstlandschaft.
über Ober-Ramstadt ging die Fahrt durch das liebliche Gersprenztal und
über die Höhen der Spreng. Durch gold-gelbes und satt-rotes Herbstlaub
zum Sterben geschmückter Wälder ging es. Die Berghöhen trugen noch
die schimmernden Kronen der Morgennebel und die siegreich durch-
dringende Sonne lieh den saftig-grünen Hängen den glitzernden Schimmer
tauigen Perlenglanzes.
Durchs altersschöne Michelstadt mit seinen krummen Gäßchen und
Fachwerkbauten ging`s nach Erbach, wo der Schloßhof des wundervollen
Besitzes der Grafen Erbach die schnellen Fahrzeuge, vom leichten
Hilfsmotorrad, zierlich-eleganten Zwei- und Viersitzer bis zu den schweren,
fauchenden, donnernden ”Kanonen”, den Rennwagen verschlang.
Hier schon begann aus dem reinen Genuß der Naturschönheit, den der
selten schöne Herbstsonntag den vielen Hunderten Teilnehmern und
Gästen bescherte, das Interesse sich dem rein sportlichen zuzuwenden.
Schönheit und voraussichtliche Leistungen der Fahrzeuge wurden kritisch
gemustert, Konkurrenten im kommenden Kampf abgewogen, die Aussicht
auf Erfolg und Sieg mit Hoffen oder Bangen erwogen.
Es begann die Wagenabnahme. Bekannte Führer wurden begrüßt. Man
sah Glöckler, den viel erfolgreichen Motorfahrer, Kleemann, dessen
englischer ”Triumph” besonders mißtrauisch gemustert wurde, weiter
Kreidel, Kathe und andere. Unter den Wagenfahrern fielen besonders
auf Frau Merck - Darmstadt mit ihrem schnittigen, eleganten, leuchtend-
roten ”Steiger”, den sie später auch mit bemerkenswertem Schneid und
sportlicher Kaltblütigkeit im Rennen steuerte, Frau Folville - Frankfurt,
ferner von bekannten Herren- und Rennfahrern Gischel auf ”Presto”,
Dr. Tigler auf ”Benz”, Köllner (Dixi), Schulze-Steprath, Rasche (Dürkopp),
Kroth (Adler), Engel (Wanderer), dann Hans von Opel und Fritz von
Opel auf ihren originellen Rennwagen-Typen eigenen Fabrikats, Henny auf
Heim und andere.
Ab 1924 wurde vor den Rennen eine sogenannte Strahlenfahrt ausgefahren.
Den packenden Bericht des Tagblattredakteurs füge ich hier an:
Nächtliche Rennfahrt – 120 km-Tempo
Der liebenswürdigen Einladung des Herrn Wilhelm Merck danke ich die
Gelegenheit zur Mitfahrt. Im Schloßhof zu Erbach herrscht um die Mitternachtsstunde fieberhafter Betrieb. Diese nächtliche Strahlenfahrt,
deren Schöpfer Herr Oberingenieur Georg Hoffmann ist, und der damit
den Automobilsport um eine außerordentlich interessante Nuance
bereichert hat, ist etwas so Neues, nie dagewesenes, daß das Interesse
an der Fahrt weit über den Kreis der Teilnehmer hinausgeht.
3 Minuten vor 12 herrscht im Schloßhof ohrenbetäubender Lärm, die
Motoren sind angeworfen, und brummen mutwillig und kraft-protzend ihre
Bereitwilligkeit zum Sieg. Pünktlich um 12 Uhr senkt sich die weiße
Starterfahne vor dem ersten Konkurrenten, dem prachtvollen 16 PS Benz.
Am Steuer Herr Wilhelm Merck, neben ihm als aufmerksamer und
geschickter Helfer Herr Hohmann. Im Rücksitz ich. Trotz der engen
Kurven in den winkligen Gassen Erbachs fahren wir mit einem Tempo
vom Start, daß wir keinen der Konkurrenten vor Beendigung der Fahrt
wieder zu Gesicht bekommen.
Der Odenwald wartet uns mit überraschungen wenig angenehmer Art auf.
Kaum umfangen uns seine im Herbstschmuck in der Mondschein-
beleuchtunggolden schimmernden Bäume, macht sich auch eine
schneidende feuchte Kälte soempfindlich bemerkbar, daß ich dankbar
der kleinen zart-fürsorglichen, wennauch Steuerrad gewohnten Hände
gedenke, die mich so warm im Wagen verstaut haben. Die Kälte war
allerdings nur eine nebensächliche überraschung. Fataler war die andere. Urplötzlich, im 90-Kilometer-Tempo, türmt sich vor uns eine dichte
Nebelmauer, so dick und so dicht, daß auch unsere Riesenscheinwerfer
nicht einen Meter weit hindurchdringen. Es muß gestoppt werden. Zornig,
unwillig brummt der Motor, bellt dumpf, als ob er in Ketten liegt, um nach Durchdringen der Nebelwand wieder seine befreiende siegheischende
Tritonenmusikhören zu lassen. Dieses, dem Fahrer fatale, dem Mitfahrer
natürlichinteressante Schauspiel, wiederholt sich im Laufe der Nacht
vielfach.
Undurchdringliche Nebelwände von wenigen Metern bis zu Kilometern
Tiefe, zwingen oft zum Stoppen. In der Geraden aber, und wenn der Mond
siegreich bleibt, legt der Wagen, von der fabelhaft sicheren Hand Wilhelm
Mercks gesteuert, ein Tempo von 120 und 130 km an, frißt sich mit wahrer
Kilometergier in die vom Mondschein in Silberschimmer getauchte
Herbstnacht. Mehrfach heißt es urplötzlich bremsen, weil Bauernfuhrwerke
nach alter Gewohnheit linksseitig ganz plötzlich im Scheinwerfer auftauchen.
Durch Dörfer und Städtchen, spitze S- und Haarnadelkurven, geht die
sausende Fahrt. In der höchsten Schnelligkeit die immer wieder interessante
optische Täuschung, als stehe der Wagen und die zu Laubengängen sich
formenden Baumalleen sausen an uns vorbei.
So passieren wir Michelstadt, König, Hoechst, Lengfeld, Reinheim,
Spachbrücken, Roßdorf. Keine Zeit, die wundervolle, wenn auch herbe
Landschaft zu genießen. Es gilt ein höheres sportliches Ziel zu erreichen.
Urplötzlich tauchen die Lichter von Darmstadt auf. Wir lassen die Stadt
links liegen, am Orpheum vorbei, rechts einbiegend, gehts Frankfurt zu.
Die schöne Straße nach Langen gestattet uns, aus dem Motor heraus-
zuholen, was er hergibt. Um 1,20 Uhr schon lassen wir Frankfurt hinter
uns, dann gehts nach Oberhessen. Vilbel, Friedberg, das vorgesehene
Ziel unserer nächtlichen Rennfahrt ist erreicht. Wir haben noch 30 Minuten Sicherheitskoeffizient, also weiter, nach Bad-Nauheim und Butzbach, um
die Kontrollkarten der Post zu übergeben. Eine ganz kurze Atempause
erlaubt es Willi Cleer auf seinem Stoewer uns einzuholen, was er die letzte
halbe Stunde vergeblich versucht hatte. Dann wenden wir, und in fast auf
die Minute gleichem Tempo sausen wir die gleiche Strecke zurück.
Das unvergessliche Schauspiel der Hinfahrt wiederholt sich minutiös.
Frankfurt hielt fatale Minuten auf, aber die geraden und übersichtlichen
Straßen wurden ausgenutzt. Ohne jeden Zwischenfall fuhren wir über
0,5 Stunden zu früh in den Schloßhof zu Erbach ein. Allerdings und
bedauerlicherweise nicht als Sieger. War es die Auswahl der Strecke,
war es der Nebel, der schuld war? Schwer, das festzustellen. Sicher ist,
daß die Konkurrenten, die eine mehr südliche Strecke gewählt hatten,
besser abschnitten, sicher aber auch, daß die sportliche Leistung des
Herrn Wilhelm Merck eine ganz ungewöhnliche war. Diese nächtliche
Rennfahrt stellt die höchsten Anforderungen nicht nur an die Maschine,
nicht nur an die überlegene Ruhe und Sicherheit des Fahrers, mehr noch,
und das ist das bedeutsame an dieser Konkurrenz, an das Verantwortungs-
gefühl des Wagenlenkers, der trotz der überlegenheit seines Wagens
durch die Ungunst der nächtlichen Nebel gezwungen ist, sich zu
beherrschen, will er nicht Wagen, Insassen und Passanten aufs Spiel
setzen, nur um seinen Siegen einen weiteren hinzuzufügen. – Wir waren
die 4,5 Stunden eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 54 Kilometern
gefahren!
Im Jahre 1927 wurde das letzte Krähbergrennen ausgetragen. Die Kosten
waren trotz Unterstützung durch Gönner wie den Grafen Alexander zu Erbach-Erbach nicht mehr zu tragen.
Die Krähbergrennen des MSTC - Erbach
Im Jahr 1964 gelang es dem Motorsport- und Touristik–Club Erbach
(MSTC) das erste Nachkriegs-Krähbergrennen auf die Beine zu stellen.
Die Unterstützung des Hauptsponsors Veith Pirelli aus Höchst im
Odenwald war für die Durchführung ausschlaggebend, so dass bis 1993
insgesamt 30 Krähbergrennen stattfinden konnten.
Streckensprecher wie Richard von Frankenberg und Rainer Braun trafen
sich am Krähberg ebenso wie die Fahrer Toni Fischhaber, Rolf Stommelen,
Jürgen Neuhaus, Sepp Greger, Willi Bergmeister, Karl Jordan, Willy Frenz,
Herbert Stenger, um nur einige zu nennen. Die Liste kann noch beliebig
verlängert werden.
Die umfangreichen Klasseneinteilungen brachten alles auf die Strecke,
was in dieserlangen Zeit von 30 Jahren an Touren- und Rennwagen (bis
Formel 2) auf deutschen und internationalen Veranstaltungen unterwegs
war. Die Strecke führte nun nicht mehr von Hetzbach, sondern von
Schöllenbach aus auf den Krähberg. Hier waren mehr Kurven und kürzere
Geraden vorhanden, wodurch die möglichen Höchstgeschwindigkeiten der
neuzeitlichen Rennwagen in überschaubaren Grenzen gehalten werden
konnten.
Derzeit bin ich mit den Recherchen zu dieser Rennserie beschäftigt. Auch
hier soll, wie für die Rennen des HAC in den Zwanzigern, am Ende ein Buch entstehen, welches deren Geschichte erzählt. Sollte jemand über Material
(Bilder oder Texte) verfügen und möchte sie dafür zur Verfügung stellen,
dann würde ich mich über einen Kontakt freuen.
Die Geschichte dieser Rennen ist in dem Buch "Als Caracciola an den
Krähberg" kam ausführlich und mit viel Bildmaterial nachzulesen.
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